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«Eine Steuererhöhung ist leider unvermeidlich»

30. November 2021

Viele Unterbaselbieter Gemeinden schlagen ihrer Bevölkerung für das Jahr 2022 eine Steuererhöhung vor. Auch die Gemeinde Oberwil erachtet einen solchen Schritt als unab­dingbar. Ansonsten wäre am Ende der Finanzplanperiode das Eigenkapital nicht mehr po­sitiv.

Der BiBo hat sich mit Gemeindepräsident Hanspeter Ryser und Gemeinderat Karl Schenk zum Thema Oberwiler Finanzhaushalt unterhalten.

BiBo: Was hat die Gemeinde finanzpolitisch falsch gemacht, dass der Gemeinderat der Gemeindeversammlung vom 15. Dezember eine Steuererhöhung von vier Pro­zentpunkten vorschlägt?

Hanspeter Ryser: Überhaupt nichts – und Corona trifft auch keine Schuld. Oberwil geht es wie den meisten Gemeinden des Unterbaselbiets. Auch diese leiden unter strukturellen Defiziten und schlagen deshalb ihrer Bevölkerung Steuererhöhungen vor, damit die Jah­resabschlüsse wieder die Balance finden.

Was versteht man unter einem strukturellen Defizit?

Karl Schenk: Ein strukturelles Defizit besteht dann, wenn die Aufgaben und damit die Aus­gaben höher sind als die Steuererträge, und das unabhängig von kurzfristigen Einflüssen wie Konjunktur, Corona oder Einmal-Effekten. Besonders schlimm ist das, wenn die zu­sätzlichen Aufgaben von aussen aufgezwungen werden, weil dann der Handlungsspiel­raum der Gemeinde schrumpft.

Das strukturelle Defizit lässt sich entweder mit Sparmassnahmen oder mit neuen Einnah­men aus der Welt schaffen. Welchen Weg verfolgt dabei die Gemeinde Ober­wil?

Ryser: Wir sind auf beiden Ebenen aktiv. Allerdings wachsen die Bäume auch bei uns nicht in den Himmel. Bei den Steuererträgen beobachten wir seit einigen Jahren eine Stag­nation des Steuersubstrats. Das geht anderen Gemeinden nicht anders. Deshalb empfehlen wir eine moderate Steuererhöhung. Ausserdem legen wir gleichzeitig den Fo­kus verstärkt aufs Sparen und Optimieren. Um ein Beispiel zu nennen: Die Gemeindever­sammlung hat im Oktober erfreulicherweise einem Optimierungsvorschlag des Gemeinde­rats klar zugestimmt. Ab 2022 werden die Einladungen zur Gemeindeversammlung sowie der Aufgaben- und Finanzplan nicht mehr in gedruckter Form an die Stimmberechtigten versandt. Dies tut sowohl der Oberwiler Jahresrechnung wie auch der Umwelt gut. Und selbstverständlich gehört es zur Daueraufgabe von Politik und Verwaltung, die Effizienz wo immer möglich zu steigern. Von den 95 eingereichten Sparanträgen der Verwaltung hat der Gemeinderat 33 Sparmassnahmen für das Budget 2022 zugestimmt. Insgesamt spa­ren wir damit 1,7 Millionen Franken ein. Allerdings – und das möchte ich hier betonen – lässt sich Effizienz nur bis zu einem bestimmten Mass steigern. Rasch wird aus Effizi­enzsteigerung ein Leistungsabbau, und sehr schnell riskiert man dann, die Gemeinde «zu Tode zu sparen». Massnahmen wie die Reduktion oder gar die Abschaffung der Jugend- und Schulsozialarbeit, die Schliessung des Hallenbads oder die Abschaffung des Ortsbus­ses sind weder zielführend noch nachhaltig. Sie würden aus Sicht des Gemeinderats die Standortqualität massiv schmälern und der gemeinderätlichen Strategie zuwiderlaufen.

Was sind denn die konkreten Kostentreiber des Oberwiler Finanzhaushalts?

Schenk: Wir haben die Oberwiler Finanzen über die vergangenen 15 Jahre eingehend analysiert und sind auf zum Teil erschreckende Erkenntnisse gestossen. Beispielsweise haben die Kosten für Gesundheit und Alter zwischen 2008 und 2022 um über 1000 (!) Pro­zent zugenommen, von 320'000 Franken auf 3,7 Millionen Franken. Es ist zwar schön, dass die Menschen immer älter werden – allerdings hat das seinen Preis. Im gleichen Zeit­raum sind die Kosten für Bildung um 38 Prozent gestiegen; absolut gesehen in Franken von 10,4 auf 14,4 Millionen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass insbesondere in diesem Bereich praktisch alle Vorgaben vom Kanton kamen. Berappen dürfen ihn dann die Ge­meinden.

Wäre es nicht besser gewesen, auf den Bau der neuen Gemeindeverwaltung zu ver­zichten?

Ryser: Ganz und gar nicht. Denn erstens haben wir fast den ganzen Neubau des Gemein­dehauses mit Gewinnen aus den Vorjahren vorfinanziert. Und zweitens ist wichtig zu se­hen, dass ein Verzicht auf den Neubau alles andere als gratis gewesen wäre. Die sechs Standorte der Gemeindeverwaltung sind allesamt in die Jahre gekommen und hätten für unumgängliche Renovationen einiges an Geld verschlungen. Mit dem Neubau des Ge­meindehauses investieren wir in die Zukunft der Einwohnergemeinde. Für die nächsten Jahrzehnte haben wir die Frage geklärt, wo wir die Verwaltung unterbringen – nämlich zentral an einem Ort, optimal zugänglich für die gesamte Bevölkerung und deren Anlie­gen.

Was passiert, wenn die Gemeindeversammlung der vom Gemeinderat beantragten Steu­ererhöhung nicht zustimmt?

Schenk: Die Gemeinde wird deswegen nicht Konkurs anmelden müssen. Wenn die Ge­meinde aber nicht genügend Mittel erhält, dann lebt sie «auf Pump». Der Handlungsspiel­raum schwindet, und wir als Einwohnende erhöhen den Schuldenberg für die nächste Ge­neration. Diese darf dann die Schulden abbauen und verzinsen. Und ebenfalls klar ist: Das aktuelle Zinsumfeld kann sich auch wieder ändern. Eine gesunde finanzielle Situation stärkt hingegen die Standortattraktivität und ist sowohl für die aktuelle Bevölkerung als auch für neue Zuziehende ein Plus. Es ist wie zu Hause in der eigenen Familie: In gesi­cherten finanziellen Verhältnissen lebt es sich besser.

Es ist mir ein persönliches Anliegen, den beiden Exekutivmitgliedern für das profunde Ge­spräch herzlichst zu danken.                                                                                                   

Georges Küng